Rund zehn Millionen Menschen sind betroffen und trotzdem ist das Thema der Inkontinenz immer noch tabuisiert. Für viele Betroffene ist eine Inkontinenz schambehaftet und kann die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen. Vor allem in Pflegeeinrichtungen ist der Großteil der Menschen von Inkontinenz betroffen. [1]
In der zweiten Aktualisierung (2024) des Expertenstandards „Förderung der Harninkontinenz in der Pflege“ (1. Aktualisierung 2014) hat das Deutsche Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) den Schwerpunkt der Harninkontinenz auch auf die Stuhlinkontinenz ausgeweitet. Welche unterschiedlichen Inkontinenzformen es gibt, was der Expertenstandard zur Kontinenzförderung empfiehlt und welche Hilfsmittel angewendet werden können, erfährst Du hier.
Die wichtigsten Definitionen
Das DNQP orientiert sich in seiner Definition von Harn- und Stuhlinkontinenz an den Veröffentlichungen der „International Continence Society“ und der „United European Gastroenterology“. Dort heißt es:[2]
„Stuhlinkontinenz beschreibt den wiederkehrenden und unkontrollierten Abgang von Stuhl über einen Zeitraum von mindestens drei Monaten. Harninkontinenz beschreibt jeglichen unfreiwilligen Harnverlust.“
Um den Grad der Unterstützung festzulegen, hat die Arbeitsgruppe des DNQP bereits 2006 Kontinenzprofile entwickelt, die eine Einteilung in Unterstützungsbedarf bezüglich personeller und/oder materieller Hilfe ermöglichen:
Profil | Merkmal | Beispiel |
Kontinenz | kein unwillkürlicher Harn-/Stuhlverlust; keine personelle Hilfe notwendig; keine Hilfsmittel | Die Ausscheidung findet willkürlich an einem geeigneten Ort zu einer geeigneten Zeit statt. |
Unabhängig erreichte Kontinenz | Kein unwillkürlicher Harn-/Stuhlverlust; keine personelle Hilfe notwendig; selbständige Durchführung von Maßnahmen | Kein unwillkürlicher Urin-/Stuhlverlust durch selbständige Maßnahmen (Nutzung von Hilfsmitteln, Durchführung von Training, Selbstkatheterismus) |
Abhängig erreichte Kontinenz | Kein unwillkürlicher Harn-/Stuhlverlust; personelle Unterstützung bei der Durchführung von Maßnahmen notwendig | Personelle Unterstützung bei kontinenzerhaltenden Maßnahmen |
Unabhängig kompensierte Inkontinenz | Unwillkürlicher Harn-/Stuhlverlust; keine personelle Unterstützung bei der Versorgung mit Hilfsmitteln | Unwillkürlicher Harn-/Stuhlverlust wird eigenständig durch geeignete Maßnahmen kompensiert (aufsaugende Hilfsmittel, Versorgung eines Blasenverweilkatheters, Nutzung intraanaler Inkontinenzprodukte) |
Abhängig kompensierte Inkontinenz | Unwillkürlicher Harn-/Stuhlverlust; personelle Unterstützung bei der Inkontinenzversorgung ist notwendig | Kompensierende Maßnahmen werden von einer anderen Person übernommen. |
Nicht kompensierte Inkontinenz | Unwillkürlicher Harn-/Stuhlverlust; personelle Unterstützung und therapeutische bzw. Versorgungsmaßnahmen werden nicht in Anspruch genommen | Bei Betroffenen, die nicht über ihre Inkontinenz sprechen wollen, keine Hilfe in Anspruch nehmen wollen oder aufgrund kognitiver Erkrankungen nicht akzeptieren. |
Maßnahmen der Kontinenzförderung
Nach einer professionellen Einschätzung der Inkontinenzsituation können je nach Unterstützungsbedarf allgemeine oder spezielle Maßnahmen umgesetzt werden. Allgemeine Maßnahmen zielen auf die Verbesserung der Mobilität, der Ernährung und der Selbständigkeit ab, um die Kontinenzsituation zu fördern. Spezielle Maßnahmen konzentrieren sich mehr auf individuelle Faktoren und Unterstützungsbedarfe.[4]
Allgemeine Maßnahmen
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- Gewichtsreduktion: Übergewicht strapaziert sowohl den Beckenboden und den Schließmuskel als auch die Organe des kleinen Beckens durch den erhöhten Druck des Übergewichts. Eine gezielte Gewichtsreduktion kann das Inkontinenzrisiko reduzieren.
- Obstipationsprophylaxe: Bei einer Obstipation kommt es zu einem erhöhten intraabdominellen Druck, der den Harndrang erhöhen und ebenfalls eine Inkontinenz hervorrufen kann. Maßnahmen wie eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr, Bewegungsförderung und eine ballaststoffreiche Ernährung können im Rahmen der Obstipationsprophylaxe zu einer Entlastung der Blase führen.
- Förderung der Autonomie: Durch eine Anpassung der Umgebung (Beleuchtung, Beseitigung von Stolperfallen), Mobilitätsförderung und Orientierungshilfen kann eine Kontinenzförderung erreicht werden. Falls nötig sollten Gehhilfen griffbereit sein und der Toilettengang begleitet werden. Auch Hilfsmittel und Inkontinenzmaterial sollten jederzeit in der Nähe sein.
- Hautpflege: Siehe hierzu Hautschutz bei Inkontinenz
Spezielle Maßnahmen
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- Beckenbodentraining: Durch gezielte Übungen der An- und Entspannung des Beckenbodens wird eine Verbesserung der Kontinenz angestrebt. Ein regelmäßiges und kontinuierliches Training ist dabei wichtig, um nachhaltig Erfolge zu erreichen.
- Toilettentraining: Nachweisbar wirksam ist die Methode des angebotenen Toilettengangs, bei der mithilfe eines verhaltenstherapeutischen Ansatzes die Kontinenz gefördert werden soll. Hierbei wird zu festgelegten Zeiten und in regelmäßigen Abständen, je nach Ausprägung der Inkontinenz in Intervallen von einer bis zu drei Stunden, der betroffenen Person ein Angebot zur Begleitung des Toilettengangs gemacht. Der Abschluss der Maßnahme erfolgt durch Lob und das Angebot weiterer Hilfeleistungen bei Bedarf.
Hilfsmittel
Es gibt eine Vielzahl an Hilfsmitteln, die bei der Kontinenzförderung unterstützen können:[5]
- Mobile Toilettenhilfen bei mobilitätseingeschränkten Personen (Steckbecken, Urinflasche, Toilettenstuhl). Es ist hierbei stets auf die Wahrung der Privat- und Intimsphäre der Betroffenen zu achten!
- Aufsaugende Hilfsmittel: Hier wird zwischen offenen und geschlossenen Systemen unterschieden, die je nach Präferenz der Betroffenen und Stärke der Inkontinenz gewählt werden. Auch, wenn es in der Praxis häufig so gehandhabt wird, ist eine Kombination von offenen und geschlossenen Inkontinenzmaterialien kontraindiziert.
- Ableitende Hilfsmittel: Dazu zählen sowohl Kondomurinale und Urinkollektoren als auch transurethrale oder suprapubische Blasenverweilkatheter, wobei letztere erst nach strenger ärztlicher Indikation gelegt werden und nur, wenn alle andere Maßnahmen keine Besserung brachten.
Fazit: Pflegekräfte leisten einen wichtigen Beitrag zur Kontinenzförderung
Die richtige Einschätzung des Unterstützungsbedarfs bei Inkontinenz, die Auswahl geeigneter Hilfsmittel und die Beratung der Betroffenen sind nur einige der Aufgaben von Pflegekräften im Prozess der Kontinenzförderung. Deine empathische und fachkundige Art unterstützt die Betroffenen in der Auseinandersetzung mit ihrer Inkontinenz und der individuellen Förderung ihrer Kontinenz.
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Literatur:
[1] Vgl. Deutsche Kontinenz Gesellschaft: 16. Welt Kontinenz Woche 2024 startet: Deutsche Kontinenz Gesellschaft sieht Versorgung von Betroffenen mit Inkontinenz gefährdet. Im Internet unter: https://www.kontinenz-gesellschaft.de/16-welt-kontinenz-woche-2024-startet-deutsche-kontinenz-gesellschaft-sieht-versorgung-von-betroffenen-mit-inkontinenz-gefaehrdet/ (letzter Zugriff: 07.08.2024).
[2] Kontinenz_Akt2024_Auszug.pdf (dnqp.de) (letzter Zugriff: 07.08.2024), S. 22.
[3] Vgl. Schmidt, Simone: Expertenstandard Förderung der Harnkontinenz in der Pflege. In: Expertenstandards in der Pflege – eine Gebrauchsanleitung. 5. Auflage (Hrsg.). Berlin: Springer-Verlag GmbH, S. 116.
[4] Vgl. Zentrum für Qualität in der Pflege: ZQP-Ratgeber. Inkontinenz. Praxistipps für den Pflegealltag. Berlin: Zentrum für Qualität in der Pflege 2024. Im Internet unter: https://www.zqp.de/thema/inkontinenz/ (letzter Zugriff: 07.08.2024).
Vgl. Hayder-Beichel, Dr. Daniela: Empfehlungen zur Kontinenzförderung. In: Die Schwester. Der Pfleger 5 (2024), S. 14-16.
Vgl. Schmidt, Simone: Expertenstandard Förderung der Harnkontinenz in der Pflege. In: Expertenstandards in der Pflege – eine Gebrauchsanleitung. 5. Auflage (Hrsg.). Berlin: Springer-Verlag GmbH, S. 120-125.
[5] Vgl. Schmidt, Simone: Expertenstandard Förderung der Harnkontinenz in der Pflege. In: Expertenstandards in der Pflege – eine Gebrauchsanleitung. 5. Auflage (Hrsg.). Berlin: Springer-Verlag GmbH, S. 125- 127.